»Warum sagen Sie NEIN zur historisch-kritischen Theologie?« Diese Frage wurde mir gestellt und ich möchte vorab auf sie antworten: Mein NEIN zur historisch-kritischen Theologie entspringt dem JA zu meinem wunderbaren Herrn und Heiland Jesus Christus und zu der herrlichen Erlösung, die Er auf Golgatha auch für mich vollbracht hat.
Als Schülerin von Rudolf Bultmann und von Ernst Fuchs, von Friedrich Gogarten und Gerhard Ebeling habe ich die besten Lehrer gehabt, welche die historisch-kritische Theologie mir bieten konnte. Auch sonst war ich keineswegs zu kurz gekommen: Mein erstes Buch erwies sich als ein Bestseller. Ich wurde ordentliche Professorin für Theologie und Methodik des Religionsunterrichtes an der Technischen Universität in Braunschweig. Aufgrund meiner Habilitation ernannte man mich zur Honorarprofessorin für Neues Testament an der theologischen Fakultät der Philipps-Universität in Marburg und nahm mich als Mitglied in die Society for New Testament Studies auf. Ich durfte mich der zunehmenden Anerkennung durch meine Kollegen erfreuen.
Geistig beheimatet in der historisch-kritischen Theologie, war ich fest davon überzeugt, mit meiner theologischen Arbeit Gott einen Dienst zu tun und einen Beitrag zu leisten zur Verkündigung des Evangeliums. Dann aber mußte ich – aufgrund von Einzelbeobachtungen und -informationen ebenso wie aus Selbsterkenntnis – einsehen, dass bei dieser »wissenschaftlichen Arbeit am Bibeltext« unter dem Strich keine Wahrheit herauskommen kann und dass diese Arbeit der Verkündigung des Evangeliums nicht dient.
Damals war das nur eine praktische Erkenntnis, aus Erfahrungen gewachsen, die ich nicht länger wegzuleugnen vermochte. Inzwischen hat mir Gott durch Seine Gnade und Sein Wort auch theoretische Einsicht gegeben in den Charakter dieser Theologie: Anstatt im Worte Gottes gegründet zu sein, hat sie Philosophien zu ihrem Fundament gemacht, welche sich entschieden haben, Wahrheit so zu definieren, dass Gottes Wort als Quelle der Wahrheit ausgeschlossen und der Gott der Bibel, der Schöpfer Himmels und der Erde und Vater unseres Heilandes und Herrn Jesus Christus auf der Grundlage dieser Voraussetzung nicht denkbar ist.
Heute darf ich erkennen, dass sich in dem Monopolcharakter und der weltweiten Verbreitung der historisch-kritischen Theologie Gottes Gericht vollzieht (Röm 1,18 ff.). Gott hat es in Seinem Wort vorhergesagt: »… es wird eine Zeit sein, da sie gesunde Lehre nicht ertragen können, sondern nach ihren eigenen Lüsten selbst Lehrer aufhäufen, weil es ihnen in den Ohren kitzelt« (2Tim 4,3). Er hat auch verheißen, dass er »eine wirksame Kraft des Irrwahns« sendet, »dass sie der Lüge glauben« (2Thes 2,11). Gott ist nicht tot; Er hat auch nicht abgedankt, sondern Er regiert und Er vollzieht bereits das Gericht an denen, die Ihn für tot erklären oder als einen Götzen deklarieren, der weder Gutes noch Böses tut.
Heute weiß ich, dass ich jene anfänglichen Einsichten der vorlaufenden Gnade Gottes verdanke. Zunächst aber führten sie mich in eine tiefe Frustration, auf die ich mit Abgleiten in Süchte reagiert habe. Ich versuchte, mich zu betäuben; ich wurde ein Sklave des Fernsehens und geriet in zunehmende Abhängigkeit vom Alkohol.
Als ich vor dem Hintergrund eigener bitterer Erfahrung die Wahrheit des Bibelwortes erkennen konnte: »Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren« (Mt 10,39), führte Gott mich zu lebendigen Christen, die Jesus persönlich als ihren Herrn und Heiland kennen. Ich durfte ihre Zeugnisse hören, in denen sie berichteten, was Gott in ihrem Leben getan hat. Schließlich sprach Gott selber durch das Wort eines Bruders zu meinem Herzen und durch Seine große Gnade und Liebe habe ich mein Leben Jesus übergeben.
Er hat es sogleich in Seine Heilandshände genommen und damit angefangen, es radikal zu verändern. Ich wurde frei von der Sucht, war hungrig und durstig nach Seinem Wort und nach Gemeinschaft mit Christen und ich durfte Sünde klar als Sünde erkennen, für die ich bisher nur Entschuldigungen gehabt hatte. Ich kann mich noch an die herrliche Freude erinnern, als zum ersten Mal Schwarz wieder Schwarz und Weiß wieder Weiß für mich wurde und aufhörte, zu einem unterschiedslosen Grau ineinander zu fließen.
Etwa einen Monat nachdem ich mein Leben Jesus übergeben hatte, wurde ich von Gott überführt, dass Seine Verheißungen Realität sind. Ich hörte den Bericht eines Wycliff-Missionars, der in Nepal diente. Er teilte mit, dass sein Sprachhelfer während seiner Abwesenheit ins Gefängnis gekommen war, weil es in Nepal verboten ist, Christ zu werden und was dieser junge Christ bei der Gerichtsverhandlung gesagt hatte. Aufgrund von früheren Berichten, in denen ich von diesem Sprachhelfer gehört hatte, war mir augenblicklich klar, dass er diese Antwort niemals aus seinem eigenen Vermögen hätte geben können. Markus 13,9-11 drängte sich in mein Bewußtsein – ein Wort, das ich bisher nur mit akademischem Interesse zur Kenntnis genommen hatte – und ich konnte nicht umhin, zuzugeben, dass diese Verheißung hier erfüllt war.
Markus 13, 9 Und wenn sie euch hinführen, euch zu überliefern, so sorgt euch vorher nicht, was ihr reden sollt, sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet! Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist
Schlagartig wurde ich davon überführt, dass Gottes Verheißungen Realität sind, dass Gott ein lebendiger Gott ist und dass Er regiert. »Denn so er spricht, so geschieht es; so er gebietet, so steht’s da« (Ps 33,9). Alles, was ich in den Monaten vorher an Zeugnissen gehört hatte, fügte sich in diesem Augenblick wie Puzzle-Stücke ineinander und mir wurde meine Torheit bewußt, angesichts dessen, was Gott heute tut, zu behaupten, die Wunder, welche im Neuen Testament berichtet werden, seien »nicht passiert«. Schlagartig wurde mir klar, dass ich für meine Studenten ein blinder Blindenleiter gewesen war und ich tat Buße darüber.
Etwa einen Monat danach stand ich – ohne Zutun von Menschen, allein in meinem Kämmerlein – vor der Entscheidung, entweder die Bibel weiter durch meinen Verstand zu kontrollieren oder mein Denken durch den Heiligen Geist verwandeln zu lassen.
An Johannes 3,16 wurde mir diese Entscheidung klar, denn ich hatte inzwischen die Wahrheit dieses Wortes erfahren. Es machte jetzt mein Leben aus, was Gott für mich und für die ganze Welt getan hat – seinen lieben Sohn dahinzugeben. Das konnte ich nicht mehr als ein unverbindliches Theologumenon eines – mehr oder weniger – von der Gnosis beeinflußten theologischen Schriftstellers beiseite schieben. Auf Gottes verbindlicher Zusage kann der Glaube ruhen. Theologische Sätze sind nur von akademischem Interesse.
Durch Gottes Gnade durfte ich dann Jesus als den erfahren, dessen Name über alle Namen ist. Ich durfte erkennen, dass Jesus Gottes Sohn ist, von der Jungfrau geboren, dass Er der Messias und Menschensohn ist und Ihm solche Titel nicht durch menschliche Überlegungen beigelegt wurden. Ich durfte die Inspiration der Heiligen Schrift zunächst erkennen und dann auch lebendig erfahren.
Ich habe – nicht durch Reden von Menschen, sondern durch Zeugnis des Heiligen Geistes im Herzen – klare Erkenntnis, dass mein verkehrtes Lehren Sünde war und bin froh und dankbar, dass mir diese Sünde vergeben wurde, weil JESUS sie ans Kreuz getragen hat. Deshalb sage ich NEIN zur historisch-kritischen Theologie.
Nach wie vor erachte ich alles, was ich gelehrt und geschrieben habe, bevor ich Jesus mein Leben übergab, für einen Dreck. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um darauf hinzuweisen, dass ich meine beiden Bücher »Gleichnisse Jesu …« und »Studien zur Passionsgeschichte« samt meinen Beiträgen in Zeitschriften, Sammelbänden und Festschriften verworfen habe. Was sich davon in meiner Wohnung befand, habe ich 1978 eigenhändig in den Müll getan und bitte Sie herzlich, mit dem, was sich davon etwa noch auf Ihrem Bücherbord findet, das Gleiche zu tun.
Dr. Eta Linnemann, Prof. i.R. - 5. Juli 1985