Haltet es für reine Freude, meine Geschwister, wenn ihr in verschiedene Weise auf die Probe gestellt werdet. Ihr wisst ja, dass ihr durch solche Bewährungsproben für euren Glauben Standhaftigkeit erlangt. Die Standhaftigkeit wiederum soll zu einem vollkommenen Werk führen: Ihr sollt in jeder Hinsicht zur Reife kommen, zu einer Vollkommenheit, der nichts mehr hinzuzufügen ist.
Wenn jemand von euch die Einsicht fehlt, um richtige Entscheidungen treffen zu können, dann soll er Gott um diese Weisheit bitten. Er wird sie ihm ohne weiteres geben und ihm deshalb keine Vorwürfe machen, denn er gibt allen gern.
Jak 1,2-51
Der Glaube wird auf die Probe gestellt, muss sich bewähren in der Prüfung. Eine Prüfung ist immer eine besondere Zeit. Niemand ist beständig im Prüfungsmodus, sondern nur zu bestimmten Zeiten. Ich denke, wir stehen gerade im Anfang einer solchen Prüfungszeit, in der wir besonders aufgefordert werden zu glauben. Die Pandemie selbst und vor allem die Folgen der massiven staatlichen Beschränkungen in wirtschaftlicher und auch sozialer Hinsicht, werden wir noch sehr lange spüren. Die „Bewährungsprobe“ des Glaubens führt zu „Standhaftigkeit“ und die Standhaftigkeit zur „Reife“ (V.4). Das bedeutet, ein bewährter Glaube in der Krise wird uns am Ende reifer dastehen lassen als vor der Krise. So beinhaltet jede Krise die Chance zu einem Reifungsprozess. Dass es in einer Krisensituation nicht immer einfach ist Entscheidungen zu treffen, weiß auch Jakobus. Deswegen fordert er uns auf, um Weisheit zu bitten (V.5).
Die Weisheit Gottes bewegt sich für uns Menschen immer in einem biblischen Rahmen, den wir ausloten müssen. Martin Luther hat in seiner Schrift Ob man vor dem Sterben fliehen möge (Wittenberg, 1527)2 meiner Meinung nach einen gesunden biblischen Rahmen erforscht. Hintergrund war eine Anfrage der evangelischen Pfarrerschaft in Breslau. In der Stadt wütete 1525 die Pest. Viele Menschen flohen aus der Stadt und so entstand für die evangelischen Pfarrer das Problem, ob auch sie „vor dem Sterben fliehen dürfen“. Sie baten Luther um eine Antwort. Luthers Antwort fasst ein Theologe treffend zusammen: Die Schrift zeigt klar, wie der Glaube die Freiheit zum Handeln, die Liebe aber die Freiheit zum Leiden gibt. Luther geht einen Weg, der Feigheit genauso wie Fatalismus vermeidet. (H.C. Knuth im Vorwort)2.
Wir sollen also weder feige und mutlos sein, noch schicksalsergeben (Fatalismus) und nicht Nichts tun.
Ich möchte Luthers Schrift in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen, denn sie gibt uns durchaus auch knapp fünfhundert Jahre später eine gesunde Orientierung in unserer Zeit. Wen wundert´s, ist doch Gottes Wort über alle Zeiten und Kontinente hinweg gültig.
1. Der Christenmensch soll im Amt bleiben, wenn es nötig ist.
Ebenso sind die, die im geistlichen Amt sind, wie Prediger und Seelsorger, auch schuldig, in Sterbens- und Todesnöten zu stehen und zu bleiben. Denn da steht ein öffentlicher Befehl Christi: „Ein guter Hirte lässt sein Leben für seine Schafe; aber ein Mietling sieht den Wolf kommen und flieht.“ (Joh 10,12) Denn im Sterben bedarf man des geistlichen Amtes am allermeisten …
Dieser Punkt ist für Luther der allerwichtigste, macht auch den größten Teil seiner Antwort aus und Luther bezieht sich in seiner Schrift immer wieder darauf. Man darf den Nächsten in seiner Not unter keinen Umständen allein lassen. Das gilt, wie oben zitiert, zuerst für das geistliche Amt, aber auch für da weltliche Amt („Bürgermeister, Richter“) und schlussendlich für jede Person, auch für den Knecht, der nicht von seinem Herrn fliehen darf.
Aber, so schränkt Luther ein, wenn das Amt gut versorgt ist, dann muss man sich nicht unnötig einer Gefahr aussetzen.
Doch wenn viele Prediger vorhanden wären, meine ich: Es wäre nicht Sünde, weil das Amt noch genügend versorgt wäre.
Was hier für das geistliche Amt gilt, trifft ebenso wieder auf alle anderen Ämter zu.
… wie ein Stadtarzt, Stadtdiener Söldner und wie sie genannt werden mögen: Sie dürfen nicht fliehen, ohne andere tüchtige und ausreichende Leute für ihre Stelle zu bestimmen….
Die Versorgung der Kranken ist für Luther der Gradmesser, ob man sich in Gefahr begeben oder ob man aus ihr fliehen soll. Es darf niemals dazu kommen, dass ein Nachbar vor dem anderen flieht und den Kranken allein lässt.
2. Es ist nicht grundsätzlich falsch, vor dem Tod zu fliehen.
Luther wendet sich gegen die damals wohl öfter vertretene Meinung, dass der Gläubige niemals vor dem Tode fliehen darf. Denn eine Flucht, so die Denkweise, wäre ein Zeichen des Unglaubens. Man glaube Gott nicht, dass er einen aus der Todesgefahr erretten kann. Dagegen argumentiert Luther:
Denn Sterben und Tod zu fliehen und das Leben zu retten, ist natürlich von Gott eingepflanzt und nicht verboten, wenn es nicht gegen Gott und den Nächsten ist, wie Paulus in Eph 5,29 sagt: „Niemand hasst sein Fleisch, sondern wartet und pflegt es.“ …. Ja es ist geboten, dass jeder seinen Leib und sein Leben bewahre und nicht verwahrlose, soviel er nur kann, wie Paulus in 1.Kor 21,21ff sagt, dass Gott die Gliedmaßen am Leibe eingesetzt hat, damit immer eins für das andere sorgt und schafft.
Dann führt Luther noch eine Reihe von biblischen Glaubenshelden an, die alle in bestimmten Situationen vor dem Tod flüchteten. So floh Jakob vor Esau, David vor Saul/Absalom und Paulus aus Damaskus.
Mir kam in diesem Kontext noch die Aufforderung Jesu in den Sinn, in die Berge zu fliehen, wenn man den Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte stehen sieht (Mt 24, 15.16).
Luther bleibt aber immer dabei, dass eine Flucht nur dann möglich ist, wenn deswegen niemanden verlassen wird, der Hilfe benötigt. Kann man aus diesem Grunde nicht aus der Gefahr fliehen, dann muss man bleiben und der Gläubige darf sich getrost im Glauben der Hand Gottes anbefehlen.
Ist er gebunden, so dass er bei Sterbensgefahr an seinem Ort bleiben muss, seinem Nächsten zu Dienst, so befehle er sich Gott und spreche: Herr, in deiner Hand bin ich, du hast mich hier angebunden, dein Wille geschehe.
Insgesamt tendiert Luther sowieso eher dazu, im Zweifelsfall in der Stadt zu bleiben, anstatt zu fliehen. Denn der Glaube darf göttliche Verheißungen für sich in Anspruch nehmen.
Das andere ist die starke Verheißung Gottes, womit er alle die tröstet, die sich der Bedürftigen annehmen, Ps 41,2-4 sagt: „Wohl dem, der sich des Bedürftigen annimmt! Den wir der Herr erretten zur bösen Zeit. Der Herr wird ihn bewahren und beim Leben erhalten…..“ (….)
Luther führt noch weitere Verheißungen Gottes an (u.a. Ps 41,4), um dann ganz deutlich den Unglauben zu schelten, der Gott nur versucht.
….pfui über dich, du leidiger Unglaube, dass du solchen reichen Trost verachten kannst und dich von einer kleinen Beule und ungewissen Gefahr mehr schrecken als durch solch göttliche, gewisse, treue Verheißung stärken lässt. (….) Darum, liebe Freunde, lasst und nicht so verzagt sein und unsere Leute, denen wir verpflichtet sind, nicht so verlassen und vor des Teufels Schrecken so schändlich fliehen…..
3. Der Mensch soll für seinen Leib und den des anderen sorgen, dass es ihm gut geht.
So sehr sich Luther also dafür einsetzt, die Verheißungen des Glaubens mutig und entschlossen in Anspruch zu nehmen, so warnt er jedoch auch gleichzeitig davor, die göttlichen Verheißungen nicht zu missbrauchen und damit ebenfalls Gott zu versuchen, wenn Christenmenschen meinen, sie könnten sich bewusst in Todesgefahr begeben und alle Maßnahmen, die beispielsweise die staatliche Obrigkeit anordnen, ignorieren zu dürfen. Der Christenmensch soll für seinen Leib sorgen. Dazu zählen für Luther die Einnahme von Arzneien und das Meiden von kranken Personen und Orten, wo man sich anstecken kann (außer dort, wo Hilfe benötigt wird). Der Kranke selbst solle sich absondern, damit niemand einem anderen Ursache zum Tode gebe. Die Absonderung (=Quarantäne) begründet Luther mit 3.Mos 13 ff, wo die Behandlung des Aussatzes geregelt wird.
So will ich zu Gott bitten, dass er uns gnädig sei und es abwehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen, Orte und Personen meiden, wenn man mich nicht braucht, damit ich mich selbst nicht vernachlässige und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiftet und angesteckt werden und ihnen so durch meine Nachlässigkeit eine Ursache des Todes entsteht.
Luther fasst seine Schrift selbst sehr passend zusammen.
Wenn man sich so in einer Stadt verhält, dass man kühn im Glauben ist, wo es die Not der Nächsten erfordert und umgekehrt vorsichtig, wo es nicht notwendig ist und ein jeder das Gift abwehren hilft, womit man kann, so ist gewiss ein geringes Sterben in solcher Stadt. Aber wenn´s so zugeht, dass ein Teil allzu verzagt ist und vor seinem Nächsten flieht in der Not, der andere Teil allzu tollkühn und nicht abwehren hilft, sondern vermehrt, da hat der Teufel es gut, und es muss wohl ein großes Sterben werden. Denn auf beiden Seiten werden Gott und Menschen auf höchste beleidigt, hier mit Versuchen, dort mit Verzagen: ……
Kühn im Glauben und vorsichtig zugleich sein. Kühn sein, wo es die Not des Nächsten erfordert und vernünftige Abwehrmaßnahmen treffen, damit es nicht schlimmer wird. In diesem Rahmen sollte sich der Gläubige bewegen. Was das dann für den Einzelnen in der konkreten Situation bedeutet, da darf er Gott um Weisheit bitten (Jak 1,5), dass die richtige und passende Entscheidung getroffen wird – mutig, wo Mut erforderlich ist und vorsichtig, wo die Vorsicht Schaden vermeidet und keinen anrichtet.
Dass Luther im Übrigen selbst kein Theologe am grünen Tisch der Universitätsbibliothek und der Schreibstube war, zeigte sich 1527, als in Wittenberg die Pest ausbrach. Der kurfürstliche Hof und die Studenten und Professoren der Universität wichen nach Jena aus. Luther selbst wurde von seinem Kurfürsten Johann aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Aber Luther blieb in der Stadt, denn er hielt es für notwendiger, die Seinen nicht zu verlassen. Treu seinen biblischen Überzeugungen folgend, blieb er in der Stadt und versah mit seinem Freund Bugenhagen und zwei Kaplänen seinen Dienst als Prediger und Seelsorger3. Zudem hielt er weiter seine Vorlesungen an der Universität. Luther starb 1546 – gut 19 Jahre nachdem die Pest in Wittenberg gewütet hatte.
Kai Braun
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Quellen
1) Vanheiden, K.-H.: NeÜ, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, Dillenburg 2010
2) Bornkamm, K. und Ebeling, G. (Hrsgg): Marin Luther Ausgewählte Schriften, Bd.2-S.225-250; Inselverlag, Frankfurt a.M. 1982
3) „Nur Luther, Bugenhagen und die Diaconen an der Stadtkirche hatten sich nicht bereden lassen, die angesteckte Stadt zu verlassen, weil zu viele Arbeiten
zum Heile der Evangelische Kirche zu übernehmen und zu vollenden waren, gleichwohl aber es noch zu sehr an Männern fehlte, denen man sie mit gutem Gewissen hätte übertragen können.“ (In: Zeitschrift für die historische Theologie, Band 10, Leipzig 1840, S.200) https://books.google.de/books?id=mfgDAAAAQAAJ&pg=PA200&lpg=PA200&dq=1527+pest+wittenberg+kurf%C3%BCrst&source=bl&ots=0ChRInGeD3&sig=ACfU3U2vqIbWMZfR4WgXaeC4Y5aDUMjb7w&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiCgNLCiaXoAhXqTBUIHcN7AVoQ6AEwDnoECAYQAQ#v=onepage&q=1527%20pest%20wittenberg%20kurf%C3%BCrst&f=false